Dr. Ulla Sebastian
Vom/von der Reiter(in) zum Zentaur
Die Heilung der Spaltung zwischen Körper, Geist und Seele
Fortschritte in der Identitätsentwicklung
Ein klinischer Vortrag auf demErsten Europäischen Kongress der
Föderation für Bioenergetische
Analyse: Körper und Identität in Rom
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Inhalt
1. Einführung
2. Die Spaltung
zwischen Körper, Geist und Seele
2.1 Der Zentaur
2.2 Die Spaltung zwischen Körper, Geist und Seele als Ergebnis
sexuellen Mißbrauchs
3. Verfahren und Techniken
der Integration
3.1 Die Nachreifung
der Körperfunktionen und der Aufbau von Grenzen
3.1.1 Trennung und Individuation als Rahmen kindlicher Entwicklung
3.1.2 Raum, Zeit und Bewegung als Koordinatensystem des Aufbaus
einer Körperidentität
3.2 Kooperation
zwischen Körper, Geist und Seele
3.2.1 Verhandlungen zwischen den Teilen
3.2.2 Die Reinigung des Körpers und des Energiesystems
3.2.3 Die Vereinigung von Körper und Seele
3.3 Der Gebrauch
von Symbolen und Körperimagos als Werkzeuge des therapeutischen Prozesses
3.4. Frieden
schließen mit der eigenen Geschichte
4. Kulturelle Aspekte
1. Einführung
Zu Beginn möchte ich aus einem Brief zitieren, den ich
vor einigen Monaten nach einer zweiwöchigen intensiven Arbeit mit einer
Frau erhalten habe. Ich nenne diese Frau Barbara. Eine Teilnehmerin des
Bioenergetik-Trainings hatte sie mir überwiesen.
"Die Übung an der Wand (Erdung und Füße haben)
mache ich täglich und stehe dafür extra früher auf. Nach
allen möglichen hilfreichen Ritualen (Stampfen, Fußmassage, Erdung
im freien Stehen) gelingt es mir so gut wie immer, wenigstens für Minuten,
Unterschenkel und Füße zu bekommen und einen geerdeten Energiefluß
durch den ganzen Körper zu spüren. Zum Abschluß stehe ich
frei mit leicht gebeugten Knien, die Muskeln zittern und ich gehe dann von
oben den Körper durch und frage, welche Organe/ Stellen entlastet werden
wollen und schicke dann die schlechte Energie durch die Nieren abwärts
in den Boden. Anschließend gehe ich in den Boden und ziehe Energie
durch die Nieren hoch überall dorthin, wo sie besonders gebraucht
wird.
... Ich weiß jetzt, daß ich es nur in maßvollen
Dosen verkrafte, meinen gefühllosen Körper wahrzunehmen. Es
bringt mich so leicht außer Fassung. Da stehen Geist und Seele freudig
und voller Tatendrang, der Körper will mitmachen, alle drei legen
los und dann fehlt dem Körper der Mund: er kann oft nicht sprechen
und er hat verlernt, sich zu spüren. Er ist wie ein trockener Schwamm.
Seine Bedürftigkeit schockiert Geist und Seele, und es kostet sie
beide viel Kraft, beim Körper zu bleiben. Manchmal sind sie vor Entsetzen
gelähmt, manchmal hauen sie einfach ab.
... Ich habe mir das Buch von Mantak Chia gekauft und heute
setze ich mich mit Energiekreislauf und der Schutzhülle auseinander.
Es ist erstaunlich, wie gut mir diese Übungen tun! Der
Körper saugt jeden kleinsten Tropfen Zuwendung freudigst auf und
bedankt sich hinterher mit stundenlangen Glücksgefühlen. Ich
habe den Eindruck, für jeden Tropfen Zuwendung, die er kriegt, bedankt
er sich mit 10 Litern Glückseligkeit. Für das Geschenk, meinen
Körper zu spüren, muß ich vorher durch die Wüste des
Nichtempfindens.
Heute ist mir was merkwürdiges passiert: ich bin übelgelaunt
aufgewacht, der Körper schwer wie Blei - jeden Moment kommt meine
Regel. Da mutiere ich meist zum wehleidigen Jammerlappen. Bei der Übung
an der Wand habe ich ums verrecken einfach keine Füße und keinerlei
Arme bekommen. Wie frustrierend! War ich doch so glücklich über
meine bis dato erbrachten Erfolge. Voller Verzweiflung bin ich ins Badezimmer
gegangen, habe alles finster gemacht, eine Kerze angezündet und meine
Füße in warmes Wasser gestellt. Da hatte ich zwei erwärmte
Fußhüllen (vorher waren sie eiskalt), aber keinerlei Kontakt
zum Restkörper. Obwohl Ober- und Unterschenkelmuskeln vibrierten (ich
stand in guter Standhaltung in der Wanne), war keinerlei Gefühl in
den Beinen. Unten zwei warme Fußhüllen, dazwischen nichts und
oben ein völlig verzweifelter Restkörper. Ich habe darüber
so geweint, war darüber so unglücklich. Und auf einmal geschah
etwas erstaunliches: an dieser Trauer schienen sich alle beteiligen zu wollen,
oder es fühlten sich alle angesprochen. Auf einmal waren alle Kanäle
offen, und ich konnte einen sehr traurigen und sehr ängstlichen Körper
spüren..."
Dieser Brief steht für viele Erfahrungen, die ich in
den letzten vier Jahren begleitet habe. Die meisten der Männer und Frauen,
mit denen ich gearbeitet habe, sind Teil einer geistigen Gemeinschaft
im Nordosten Schottlands, der Findhorn Foundation. Die Findhorn Foundation
ist eine Bildungseinrichtung, die Menschen hilft, den tieferen Sinn ihres
Lebens zu finden. Von 1987-91 war ich dort Mitglied. In dieser Zeit entwickelte
ich Bildungsprogramme und bildete Workshopleiter aus. 1991 nahm ich meine
Bioenergetische Einzelarbeit wieder auf. Ein Grund für die Veränderung
meiner Arbeit lag in der Erkenntnis, daß viele meiner geistig hochentwickelten
Kolleginnen und Kollegen nicht in ihrem Körper zuhause waren. Als ich
anfing, mit ihnen bioenergetisch zu arbeiten, wurde deutlich, daß
viele ihren Körper in der Kindheit als Folge von sexuellem Mißbrauch
verlassen hatten.
Ich habe seitdem mit Hunderten von Menschen an diesem Thema
gearbeitet. Die meisten leben in der Gemeinschaft. Viele meiner Klienten
hatten weitreichende therapeutische und/oder spirituell-praktische Erfahrungen,
bevor sie zur Foundation kamen. Sie sind hoch motiviert und in der Lage,
alleine an sich und mit sich zu arbeiten, und sie haben ein Unterstützungsnetz,
das der Therapeut gewöhnlich bereitstellen muß. Diese Voraussetzungen
erlaubten es mir, mit einem breiten Spektrum von Menschen zu arbeiten
und Prinzipien und Techniken zu entwickeln, die in den Kern der Störung
vorstoßen und eine Heilung der Spaltung zwischen Körper, Geist
und Seele ermöglichen. Einige dieser Techniken gehören zum Repertoire
der Bioenergetischen Analyse, andere gehen darüber hinaus.
Zentaur Seitenanfang
2. Die Spaltung zwischen Körper, Geist und Seele
2.1 Der Zentaur
Bevor ich über die Behandlung rede, möchte ich das
Problem definieren. Im Bioenergetischen Modell verstehen wir unter einem
gesunden Menschen jemanden, der vom Grunde seines Herzens aus handelt,
die rationalen Anforderungen einer Situation berücksichtigt, gefühlsmäßig
angemessen reagiert und sich gut und ausgeglichen fühlt. Wir können
auch sagen, daß solch ein Mensch mit dem Universum verbunden und
in seinem Körper, seiner Sexualität und seiner Beziehung zur
Erde gegründet ist. Solche Menschen streben danach, sich selber zu
verwirklichen und ihrem Leben Sinn und Fülle zu geben.
2.2 Die Spaltung zwischen Körper, Geist und Seele als
Ergebnis sexuellen Mißbrauchs
Kulturelle und gesellschaftliche Bedingungen in unserer Erziehung
als Kinder verhindern gewöhnlich, daß wir uns so harmonisch
entwickeln. Viele Faktoren tragen zu Blockaden oder Spaltungen in unser
Persönlichkeit bei. Sie sind ausführlich in der Bioenergetischen
Literatur erörtert worden. Ich möchte mich hier auf ein Thema
konzentrieren, das während der letzten Jahre kulturell im Vordergrund
stand: sexueller Mißbrauch.
Ich bin nicht sicher, wie vertraut Sie mit den Folgeerscheinungen
sind. Um die Behandlungsmethoden zu verstehen, ist es wichtig, sich einiger
Schlüsselfaktoren bewußt zu sein.
Mißbrauch ist ein Angriff auf unsere emotionale und
physische Integrität, ein Aufgeben oder sogar eine Ermordung der Seele.
Das Spektrum kann von einem energetisch erfahrenen Eindringen in den physischen
und emotionalen Raum über körperliche Berührung, Belästigung
und physisches Eindringen bis hin zu quälerischer und sadistischer
Mißhandlung reichen. In einigen Fällen waren meine Klienten
nicht selber Opfer, sondern sie hatten die Vergewaltigung eines Elternteils
während des Zweiten Weltkrieges energetisch aufgegriffen oder die Belästigung
eines Geschwisters beobachtet. Die Mißbraucher erstrecken sich von
elterlichen Figuren über Nachbarn bis hin zu Gleichaltrigen oder Fremden.
Die Opfer sind meist Frauen, doch habe ich auch mit einer Reihe von Männern
gearbeitet, die entweder Opfer männlicher körperlicher Penetration
waren oder sich von Frauen emotional überwältigt gefühlt
hatten. Es ist wichtig, sich dieses Spektrums bewußt zu sein, wenn
Menschen zur Behandlung eines Mißbrauchsproblems kommen.
Im Falle eines kontinuierlichen oder traumatischen Angriffs
auf die persönliche Integrität reagiert die Seele durch Rückzug,
Einfrieren oder Spaltung. Die Einheit von Körper und Geist, der Zentaur,
wird gespalten in einen Reiter: den Verstand und das Pferd: den Körper.
Der Körper wird zum Gegenstand von Scham, besonders wenn er in der
betreffenden Situation Lust empfunden hat. Der Verstand wird zur Grundlage
der Identität und reitet den Körper oft in Grund und Boden aus
Scham, Schuld und Selbstbestrafung. Der Verstand mag dieses selbstzerstörerische
Verhalten nicht erkennen, besonders wenn es durch kulturell propagierte
Verhaltensweisen unterstützt wird wie Rauchen, Alkohol, Medikamentenmißbrauch,
Arbeits-, Sex- und Beziehungsucht in dem Versuch, Schmerz und Einsamkeit
zu meiden.
Das Leben mag zur Wüste werden, da der Körper, im
Unterschied zum Verstand, die Angriffe erinnert und menschlichen Kontakt
scheut. Eine Möglichkeit, mit der Einsamkeit umzugehen, ist die Entwicklung
des Innenlebens, besonders wenn, wie in den meisten Fällen von sexuellem
Mißbrauch, die Seele den Körper verlassen hat und fähig
ist, in andere Welten auszuweichen.
Ein anderes Motiv für die Entwicklung des Innenlebens
mag darin liegen, daß der kindliche Organismus das energetische
Muster des Mißbrauchers, zum Beispiel seine Körperspannungen,
Gefühle und Gedanken übernimmt. In der Psychologie nennen wir
diesen Mechanismus die 'Identifikation mit dem Aggressor'. Dieser psychologische
Prozeß hat eine energetische Basis. Eins der Symptome mag ein überwältigendes
Gefühl von Schuld sein, das in keinem Verhältnis zum Ausmaß
der Tat steht. In der Arbeit wird oft deutlich, daß das 'Opfer'
die Schuldgefühle des Mißbrauchers übernommen hat. Die
Entwicklung der spirituellen Seite in diesem Zusammenhang ist ein Versuch,
diese Schuld zu sühnen.
Eine weitere Folgeerscheinung des Mißbrauchs kann in
Wiederholung der Originalsituation ein süchtiges Sexualverhalten
sein. Wenn wir uns den sexuellen Mißbrauch unter energetischen Gesichtspunkten
anschauen, sehen wir, daß der junge Organismus überstimuliert
wurde. Die Energie der sexuellen Erregung, die der erwachsene Organismus
halten kann, überwältigt den Organismus eines Kleinkindes. In
der Folge entwickelt es ein zerbrechliches Ich. Diese innere Struktur wird
in der psychoanalytischen Literatur als 'borderline'-Problem beschrieben.
Die Empfindung der Übererregung wird in der Erinnerung des kindlichen
Körpers abgespeichert. Weil die Erfahrung sehr intensiv und hocherregend
war, wird der Körper das Vergnügen wieder suchen und die Übererregung
neu erleben wollen. Im Laufe der Zeit kann der Körper danach süchtig
werden, die übermäßige Energie auf diesem Wege zu entladen.
Der Verstand als eine moralische Einheit stimmt diesem Verhalten gewöhnlich
nicht zu. Er verurteilt den Körper für seine Vergnügungssuche
und lehnt ihn ab oder bestraft ihn.
Frauen mögen häufiger unter diesem Muster leiden
als Männer, da jene dieses Verhalten leichter als Erfolg beim anderen
Geschlecht rechtfertigen können. Doch ist es nur eine Frage der Zeit,
bis Männer sich frustriert oder als Sexualobjekt benutzt fühlen.
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3. Verfahren und Techniken der Integration
Mehrere Schritte sind notwendig, um die Situation aufzuarbeiten
und die Spaltung zu heilen. Körper- und Ich-Funktionen müssen
nachreifen und Grenzen, die während des Mißbrauchs überschritten
wurden, neu aufgebaut werden. Bevor wir dies mit unseren Klienten tun können,
müssen wir den Körper häufig erst als Grundlage der Identität
vorbereiten, indem wir ihn vom Stigma des Mißbrauchs befreien. Wir
müssen das Energiesystem des Opfers von dem des Mißbrauchers
ablösen, und oft müssen wir mit dem Verstand und der Seele verhandeln,
damit sie den Körper in seinem eigenen Recht als Grundlage der Identität
anerkennen.
Ich möchte Ihnen zunächst die Verfahren vorstellen,
die Ihnen von der Bioenergetischen Analyse her vertraut sind.
3.1 Die Nachreifung der Körperfunktionen und der Aufbau von Grenzen
Im Falle traumatischer Ereignisse bleibt die kindliche Entwicklung
auf der Stufe stehen, die zur Zeit des Ereignisses vorherrschte. Die daraus
folgenden Mängel können sich auf das allgemeine Energieniveau,
die körperlichen Funktionen oder die psychische Struktur beziehen.
Ein wichtiger Teil der Arbeit besteht darin, das neu aufzubauen, was sich
nicht angemessen entfalten konnte. Das Ziel ist, Menschen darin zu bestärken,
ihren eigenen inneren Rhythmus wiederzufinden, ihr Leben in die Hand zu
nehmen und eine befriedigende Alltagssituation herzustellen. Dieser Neuerziehungs-
oder Nachreifungsprozeß erfordert tägliche Übung, um das
allgemeine Energieniveau anzuheben, den Körper zu stärken, Selbstbehauptung
und Grenzsetzung in sozialen Situationen zu lernen und Wahrnehmungen und
Vorstellungen über die Realität umzuformen.
Wir verfügen über ein breites Spektrum an Techniken
für diese Arbeit, Techniken des Haltenlernens von Energie (containment),
frühes Erden, die Entwicklung von Grenzen auf der Körperebene
und im sozialen Kontakt, und Techniken, die den Kern aufbauen und stärken.
Ich weiß nicht, wie vertraut Ihnen dieses Handwerkszeug ist. Ich
habe Material dazu 1983 in dem Band: "Psychoanalyse und Bioenergetische
Analyse" (erhältlich beim NIBA) veröffentlicht. Hier möchte
ich mich auf einige Kerngedanken beschränken.
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3.1.1 Trennung und Individuation als Rahmen kindlicher
Entwicklung
Margarete Mahler hat in ihrer Arbeit über die "Psychologische
Geburt des Menschen" zwei Entwicklungslinien aufgezeichnet, gemäß
denen sich kindliche Entwicklung vollzieht:
1. Trennung als der Prozeß, der die Herauslösung
des Kindes aus der symbiotischen Bindung beschreibt
2. Individuation als Reifung autonomer Ich-Funktionen wie
Wahrnehmung, Gedächtnis oder die Fähigkeit zur angemessenen Realitätsprüfung.
Der erste Aspekt bezieht sich auf die soziale, der zweite
auf die biologische Dimension. Beide bedingen sich wechselseitig und können
zur Kompensation von Frustrationen in dem jeweiligen anderen Bereich herangezogen
werden.
Soziale Bedingungen können Reifungsvorgänge unter
zwei Aspekten beeinflussen:
1. Die mangelnde Befriedigung vitaler Bedürfnisse
kann die Entwicklung bestimmter Körperzonen hemmen oder aber zu chronischer
Kontraktion der auf dieser Stufe sich entwickelnden Körperzonen führen
(wie die Gelenke und Spannungen in Kopf und Augen beim schizoiden Charakter,
die Nacken und Schultermuskulatur beim oralen, die langen Muskeln beim
rigiden Charakter, usw.)
2. Bestimmte Körperfunktionen können verfrüht
reifen, um soziale Belastungen auszugleichen. Ein Bei-spiel ist verfrühtes
Stehen als Versuch des Kleinkindes, die Trennung von der Mutter zu überwinden
oder einer unbehaglichen symbiotischen Beziehung zu entrinnen. Das verfrühte
Stehen konkurriert mit der Notwendigkeit, sich im Raum zu bewegen und
die Umwelt zu erkunden und kann später die Fähigkeit zur freien
Bewegung im Raum oder die Koordination zwischen Armen, Beinen und Körper
einschränken.
Im Falle traumatischer Ereignisse wird die kindliche
Entwicklung auf der Stufe gehemmt, auf der das Trauma geschah. Die Verzögerung
in der Reifung der Körperfunktionen wirkt sich auf die Reifung der Ich-Funktionen
aus. Um bei dem obigen Beispiel zu bleiben: Verfrühtes Stehen hat
oft eine Unsicherheit in den Beinen zur Folge, die sich durch Spannungen
in den Knöcheln, Versteifung der Knie als Versuch, sich aufrechtzuhalten
oder Versteifung der langen Muskeln ausdrücken kann (je nachdem, in
welchem Entwicklungsabschnitt traumatisierende Ereignisse stattfanden).
In jedem Fall konnte der Kontakt zur Erde, zum Grund nicht adäquat
aufgebaut werden. Da Körperfunktionen und psychische Funktionen miteinander
korrespondieren, befindet sich damit auch das Selbst auf unsicherem Grund.
Das Verständnis solcher Reifungsvorgänge ermöglicht
es uns, diese Kenntnisse im therapeutischen Prozeß für die
Nachreifung der nicht entwickelten Funktionen zu nutzen. Wir können
einen therapeutischen Rahmen schaffen, der die Klienten ermutigt, sich
den Raum zu nehmen, der in ihrer Kindheit durch ständige Eingriffe
bedroht war. Wir können diesen Prozeß in vier Schritten zusammenfassen:
1. Über den Kontakt mit der Wand aus der Position
des Liegens auf dem Rücken kann der Klient sein eigenes Körperschema
entwickeln. Das bedeutet, daß er Widerstand braucht, um sich fühlen
zu können, ein Prinzip, das wir auch in der 'containment' Arbeit
nutzen. Mahler interpretiert das Anschlagen gegen Objekte in der Übungsphase
als Notwendigkeit, die Körpergrenzen zu stärken, die für
Schritt 2 notwendig sind.
2. Im zweiten Schritt kann der Klient diese Erfahrung
nutzen, um sich vom Therapeuten als Heimatbasis abzugrenzen und zu lernen,
das eigene Ich gegen ihn zu schützen. Eine breite Palette von Techniken
steht uns dafür zur Verfügung.
Über den Kontakt des Fußes mit dem Körper
des Therapeuten kann der Klient noch einmal ein Gespür bekommen für
das frühe Eingebundensein in die Mutter, von der er sich fortbewegen
kann, so daß der im Fuß lokalisierte Greifreflex sich fortentwickeln
kann zum Abstoßen von einer Person und damit zu einem Distanzierungsmechanismus,
der gleichzeitig Raum gibt für die Entwicklung der eigenen Ich-Funktionen.
Der Therapeut kann die spielerische Bewegung der Beine
(strampeln) nutzen, um das Recht des Klienten auf seinen eigenen Raum zu
stärken und mit ihm zu erarbeiten, wie weit er andere in seinen Raum
hineinkommen lassen möchte. Auf der symbolischen Ebene drückt
das 'Nein' die Trennung von der anderen Person aus.
3. In der Krabbelphase ist das Kind in der Lage, sich
von der Mutter fort- wie auf sie zu zu bewegen, d.h. das Kind kann selber
die Distanz beeinflussen, die es zur Mutter haben will. Dies ist ein wesentlicher
Schritt hin zur eigenen Autonomie. Innerhalb des therapeutischen Prozesses
bedeutet dies, daß der Therapeut die Klienten ermutigt, die Distanz
zu erkunden und zu wählen, die im jeweiligen Augenblick angemessen
ist. Eine andere Möglichkeit der Grenzsetzung liegt darin, daß
der Therapeut die Klienten ermutigt, ihn im Rückenkontakt durch den
Raum zu schieben. Diese Erfahrung gibt dem Klienten die Erlaubnis, spielerisch
sein 'Nein' zu erproben.
4. Schließlich kann das Kind erfahren, daß
es sich von einem sicheren Grund aus erheben und zu seiner vollen Größe
aufrichten kann. Mit dem Aufrichten ist eine einschneidende Veränderung
in der Perspektive von der horizontalen zur vertikalen Richtung verbunden,
die auf die Reifung der Ich-Funktionen (Erforschen und Begreifen der Umwelt)
stark fördernd wirkt. Die Fähigkeit, sich aufrecht durch den
Raum zu bewegen, Objekte in Besitz zu nehmen und die Distanz zur Mutter
in "gleichberechtigter" Position zu erproben, steigert die Befähigung
zur Realitätsprüfung enorm. Damit einher geht ein körperliches
Hochgefühl, das dem Kind über kurzfristige Trennungen von der
Mutter hinweghelfen kann.
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3.1.2 Raum, Zeit und Bewegung als Koordinatensystem
des Aufbaus einer Körperidentität
Trennung und Individuation finden innerhalb eines Zeit-Raum-Kontinuums
statt. Beide Dimensionen sind so wichtig für den therapeutischen
Prozeß, daß ich einige Aspekte aus diesem Bereich anführen
möchte.
Mit der Erfahrung von Verläßlichkeit und
Kontinuität strukturiert sich Zeit als Erfahrung von Rhythmus oder Pulsation
in den Körper, als Erfahrung von Spannung und Entspannung, Wachheit
und Müdigkeit, Hunger und Sättigung, also als Erfahrung primärer
vitaler Funktionen. Die Erfahrung des Raums setzt Begrenzungen, Grenzsetzungen
voraus, die das Kind in einem fortschreitenden Differenzierungsprozeß
vom Zustand einer grenzenlosen Symbiose über den Zwischenbereich
eines neutralen Innen/Außenraums bis zur Trennung in Innen- und
Außenwelt erwirbt.
Bewegung ist das vermittelnde Glied zwischen Raum und
Zeit. In der Richtung bezieht sie sich auf die räumliche, im Tempo
auf die zeitliche Dimension. Bewegung liegt den vitalen Prozessen des Lebens
zugrunde (Pulsation, Ausdehnung-Kontraktion, Spannung-Entspannung). In
der Form des Ausgreifens, des Erforschens seiner Umwelt über krabbeln
und laufen eignet sich das Kind seine Umgebung an und etabliert damit den
eigenen inneren Raum in einem Prozeß fortschreitender Differenzierung
der Ich-Funktionen. Mit der Beanspruchung des eigenen Raums, des eigenen
Territoriums definiert der Mensch zugleich seine Beziehung zu den anderen.
Räumliche Orientierungen können sich auf drei
Ebenen beziehen:
1. die Fähigkeit, den eigenen Körperraum:
Knochen, Muskeln und Haut zu erfahren
2. die Fähigkeit, die eigene Aura oder das elektromagnetische
Feld zu spüren und gegen Eingriffe zu verteidigen.
3. Die Fähigkeit, sich sozial angemessen zu verhalten,
also Nähe und Distanz zu regulieren. Das Wort Taktgefühl hat in
diesem Zusammenhang eine doppelte Bedeutung: es bezieht sich auf Rhythmus
und soziale Sensibilität.
Die zeitliche Dimension hat mit unserer Fähigkeit
zu tun, unseren eigenen Prozeß zu überblicken, uns in einem
größeren Zusammenhang wahrzunehmen und für Ziele zu arbeiten,
die in der Zukunft liegen. Ein solches Langzeitprojekt ist zum Beispiel
die Fähigkeit, sich einer längerfristigen Therapie zu verpflichten
oder seine täglichen Übungen zuhause zu machen. Verläßlichkeit,
Sicherheit und Kontinuität sind für viele mißbrauchte Klienten
Fremdworte, beladen mit Frustrationen, Unsicherheiten und Bedrohungen.
Um solche Qualitäten wie Ausdauer, Stehvermögen oder Vertrauen
in die Zukunft zu entwickeln, muß der Therapeut dem Klienten einen
sicheren, klaren und verläßlichen therapeutischen Rahmen anbieten.
Wenn sich der Körper innerhalb des Koordinatensystems
von Raum und Zeit nicht sicher fühlt, hat dies Auswirkungen auf die
Mobilität und Motilität. Dies kann sich ausdrücken als mangelnde
Koordination zwischen Armen, Beinen und Rumpf im Wutanfall (temper tantrum)
oder als Hemmung, sich frei in alle Richtungen zu bewegen.
Die wirksamste Methode zum Aufbau und zur Integration
der genannten Funktionen ist nach meiner Erfahrung der Reich'sche Orgasmusreflex.
Ihm entspricht die Grundbewegung im Afrikanischen oder Indonesischen Tanz,
die Rückgratatmung im Chinesischen Tao, die Grundposition im T'ai
Chi. Sie ist die Bewegung des Zentaur, die einheitliche Bewegung des Lebens
in einem freien Körper. Sie drückt die Grundpulsation des Lebens
aus, von den einfachen biologischen Formen des Ein- und Ausatmens, der
Expansion und Kontraktion über die komplexeren psychologischen Formen
der Integration von Liebe und Sexualität und der sozialen Formen
des 'Mit-mir-und-anderen-Seins' bis hin zu der einfachen geistigen Dimension
des Seins im Hier und Jetzt. Von diesem Gesichtspunkt aus sind Charakterstrukturen
nichts anderes als punktuelle Verfestigungen des Orgasmusreflexes.
Ein wichtiger Teil der Hausarbeit meiner Klienten
liegt darin, diese Bewegung in ihrem täglichen Leben zu verankern. Die
Verankerung trägt in relativ kurzer Zeit dazu bei, mehr Freude und
Erfüllung im Leben zu finden. Die natürliche Pulsation regt den
Körper an, voll und gleichmäßig zu atmen, den inneren Kern
aufzubauen, die Körperfunktionen zu koordinieren und Körper und
Geist zu integrieren. Die tägliche Routine bringt Gefühle und
Material an die Oberfläche, die während der Sitzungen verarbeitet
werden. Die Bewegung hilft den Klienten, sich zu erden und in ihrem Zentrum
zu bleiben, so daß sie die zum Teil sehr intensiven Gefühle integrieren
und innere Stärke aufbauen können. Die Herausforderung in der
Arbeit mit sexuell mißbrauchten Klienten liegt darin, das Stadium
zu erreichen, in dem sie genügend Selbstdisziplin haben, um die Übung
täglich durchzuführen. Tägliche Übung ist ein Schlüsselfaktor
für den Erfolg. Nur die Kontinuität verhilft dem Körper dazu,
die natürliche Pulsation im 24 Stunden Rhythmus zu übernehmen.
Ich muß mich als TherapeutIn möglicherweise
mit einer ganzen Reihe anderer Probleme auseinandersetzen, bevor dieser
Schritt möglich ist. Ein Problem kann zum Beispiel darin liegen, daß
der Klient die Übung mechanisch macht. In vielen Fällen haben
alle drei Teile (Körper, Geist und Seele) eine getrennte Identität
entwickelt wie bei Barbara, deren Brief ich zu Beginn vorgelesen habe. In
solch einem Fall ist die Körperarbeit weniger effektiv oder sogar unmöglich,
wenn sie die Spaltung vertieft. Die Herausfor-derung liegt darin, alle
drei Teile zu vereinen oder zumindest zur Koopera-tion zu bewegen.
Um dieser Herausforderung zu begegnen, habe ich eine
Reihe von Techniken entwickelt, die über den tra-ditionellen Kanon
der Bioenergetischen Analyse hinausreichen. Ihnen liegen bestimmte Prinzipien
zugrunde, die der individuellen Situation des Klienten angepaßt
werden müssen. Ich kann diese Prinzipien und einige der damit verbundenen
Probleme hier nur andeuten und muß es Ihrer eigenen Erfahrung und
Praxis überlassen, wie weit Sie sie in Ihren konkreten Fällen
anwenden können. Lassen Sie mich allgemein sagen, daß Sie als
TherapeutIn nur solche Verfahren und Techniken anwenden sollten, die Sie
am eigenen Leibe gründlich erforscht haben und die Sie handhaben können.
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3.2 Kooperation zwischen Körper, Geist und Seele
3.2.1 Verhandlungen zwischen den Teilen
Ich werde Barbara, deren Brief ich eingangs zitiert
habe, als mein Fallbeispiel benutzen, weil die Arbeit mit ihr die wichtigsten
Elemente dieser Verfahren einschließt.
Barbara, 39 Jahre alt, kam zu einem zweiwöchigen
intensiven Therapieaufenthalt zu mir nach Findhorn. Einer meiner 'trainees'
in Deutschland hatte mich ihr empfohlen. Sie war voll Zorn und Haß
auf ihren Vater, der sie während ihrer Pubertät sexuell mißbraucht
hatte und auf ihre depressive Mutter, die sie nicht gegen den Vater geschützt
hatte. Fünf Jahre lang hatte sie während einer Gesprächstherapie
nach Roger an ihrer Fähigkeit gearbeitet, intime Beziehungen einzugehen.
Der Inzest war in dieser Therapie nicht behandelt worden. In einem Brief
schrieb sie mir:
"Im Moment geht es mir sehr schlecht. Ich suche
verzweifelt nach meiner Identität. Und ich möchte wieder Platz
nehmen in meinem Körper.
Ich muß zusehen und erleben, wie alles, was
die alte Barbara ausgemacht hat (ich war eine Überlebenskampfmaschine)
stündlich mehr und mehr in sich zusammenfällt. Ich habe in mir
solche Schmerzen, daß ich vor Schmerz ganz taub bin. Wer bin ich?"
Ich traf eine sehr schlanke, gut geformte Frau,
die wie eine 18jährige aussah. Eine Magersucht während ihrer Pubertät
war ihr Versuch, die Entwicklung weiblicher Formen zu verhindern. Sie erzählte
mir, daß sie (Körper, Geist und Seele) entschieden hatten mir
zu vertrauen, da der Geist vergeblich versucht hatte, ihr Leben befriedigend
zu gestalten. Körper, Geist und Seele hatten eine getrennte Identität
entwickelt. Ihre Seele hatte den Körper verlassen, ihr Verstand hatte
die Regie übernommen und der Körper vegetierte mehr vor sich
hin als daß er lebte.
Ich begann, mit allen dreien zu verhandeln in dem
Versuch, ein neues Gleichgewicht unter ihnen herzustellen und sie eventuell
zu integrieren. Ich erklärte dem Verstand, der den Körper moralisch
verurteilte, daß der Körper gemäß den Prinzipien
von Lust und Unlust funktioniert und von daher nicht für den Mißbrauch
verantwortlich gemacht werden kann. Wir stimmten überein, daß
die Seele und das Herz die Funktion des Verstandes übernehmen und
das 'Team' leiten würden, und daß der Verstand die Seele durch
seine scharfe Wahrnehmung unterstützen würde. Der Verstand war
auch für die Sicherheit verantwortlich, besonders in bezug auf Männer.
Wir vereinbarten auch, daß die Seele und der Verstand den Körper
nähren und seine Entwicklung unterstützen würden. Die Seele
erklärte sich bereit, in den Körper zurückzukehren und ihn
mit Leben zu füllen, nachdem wir ihn von der 'Schande' und der 'Scham'
gereinigt hatten.
Erfolgreiche Verhandlungen sind ein Schlüsselfaktor
für die Bereitschaft des Klienten, die tägliche Arbeit zu tun,
die für die Heilung des Mißbrauchs notwendig ist. Das neue
Gleichgewicht zwischen den Teilen ist eine Voraussetzung für die
Nachreifung des Organismus.
Das Verfahren ist nicht so einfach wie es aussieht.
Es ist vergleichbar mit Friedensverhandlungen zwischen befeindeten Truppen.
Ausdauer und Geschicklichkeit sind notwendig, um die Teile im Dialog miteinander
zu halten. Der Therapeut ist der Vermittler, der die unterschiedlichen
Gesichtspunkte und die Sprachen der verschiedenen Teile versteht und ihnen
die gebührende Anerkennung zollt für die Gaben und Beiträge,
die sie zur Bewältigung einer unmöglichen Situation geleistet
haben.
Bestimmte Elemente in dem Prozeß fördern
oder verhindern erfolgreiche Verhandlungen und die Kooperation zwischen
Körper, Geist und Seele. Die wichtigsten haben mit dem Körper
zu tun.
3.2.2 Die Reinigung des Körpers und des
Energiesystems
Der Körper trägt das Stigma des Mißbrauches
und wird oft dafür verantwortlich gemacht, besonders wenn er dabei
Lust empfunden hat. Für den Klienten ist es oft am schwierigsten, diesen
Aspekt zu sehen und zuzugeben. Das zerbrechliche Ich fühlt sich oft
bedroht durch die Bedürftigkeit oder das Luststreben des Körpers,
der es zu überschwemmen droht. Der Körper wird folglich als schmutzig,
unzuverlässig oder feindlich angesehen und muß bestraft oder
zumindest in Ketten gehalten werden, besonders in den Fällen, in denen
Bulemie oder Anorexia als Bewältigungsmechanismen dienen. Fast alle
meiner Klienten mit Eßstörungen hatten einen oralen Mißbrauch
in ihrer Kindheitsgeschichte. Unter oralem Mißbrauch verstehe ich
hier, daß der Säugling dazu veranlaßt oder gezwungen wurde,
an dem Penis zu saugen und dann durch die Erektion überwältigt
wurde. In einigen Fällen hätte der eregierte Penis durch die Bewegung
und den Erguß den Säugling fast erstickt.
Ein Teil der Verhandlungen zielt darauf ab, den
Körper von aller Schuld freizusprechen. Zunächst überprüfe
ich, ob der Körper das Energiemuster des Mißbrauchers übernommen
hat. Ich bitte meine Klienten, falls möglich, in den Körper des
Mißbrauchers hineinzugehen und seine muskulären Spannungen, Gedanken
und Gefühle zu erspüren. Dies mag Ihnen unmöglich erscheinen,
doch zu meiner eigenen Überraschung waren fast alle meine Klienten dazu
in der Lage. Dies ist nicht mehr so erstaunlich, wenn Sie bedenken, daß
ein Teil der Überlebensstrategie eine hochentwickelte Sensitivität
für die Energie des Mißbrauchers und schwache Körpergrenzen
sind. Die meisten Mißbrauchsopfer nutzten ihre Intuition, um Gefahren
zu erspüren. Sie sind in der Lage, Stimmungen und Absichten der Erwachsenen
zu 'lesen'. Wir können diese Fähigkeiten im therapeutischen
Prozeß benutzen.
Ich bitte meine Klienten, sich die Zahl 8 vorzustellen
und die beiden Kreise auseinanderrücken zu lassen, bis sie sich in
guter Distanz voneinander befinden. Die Fähigkeit, dies zu tun, zeigt
mir, wie weit die innere Differenzierung bis zu einem Punkt vorangeschritten
ist, an dem der Klient den 'anderen' als getrennt von sich wahrnehmen kann.
Wenn die beiden Kreise sich überlappen oder nicht voneinander lassen
können, ist das folgende Verfahren nicht angemessen. Der Klient braucht
mehr Zeit, um die eigene innere Struktur aufzubauen, bevor die folgenden
sehr tiefgreifenden, fortgeschrittenen Techniken ihm nützen können.
Wenn die beiden Kreise voneinander abrücken
und sich in guter Distanz voneinander befinden, bitte ich meine Klienten,
klare Kreisgrenzen zu etablieren und den Mißbraucher und sich selbst
in je einen Kreis zu stellen. Ich bitte sie, dem gesamten Muster (Körperspannungen,
Gefühle, Gedanken) eine Form zu geben und diese Form an den Kreis
des Mißbrauchers zurückzugeben. Im Falle des Gelingens erlebt
der Klient eine tiefe Erleichterung, aber auch den Verlust von Identität,
da die Struktur des Mißbrauchers zu einem integralen Teil des eigenen
Energiesystems geworden ist. Die Entfernung dieser Struktur entspricht
einer schweren Operation. Der Klient fühlt sich entsprechend erschöpft
und braucht nach solch einer Sitzung oft eine Zeit der Genesung.
Das Prinzip, das dieser Arbeit zugrunde liegt, besagt,
daß ich nichts aus dem Energiesystem herausnehmen kann, ohne es zu
ersetzen. Der Ersatz ist das Symbol einer reinen Energie. Je nach Situation
kann dieses Symbol von einer inneren guten Figur (einem Elternteil oder
innerem Führer) oder von dem Mißbraucher selber kommen.
Im Falle eines sadistischen Mißbrauchs nutze
ich den inneren Führer, der die Schutzfunktion des Über-Ichs
ohne seinen kritisierenden Anteil übernimmt. Er ist wie ein Elternteil,
der den Klienten bedingungslos liebt und ihn aus diesem Geiste heraus unterstützt.
Es gibt jedoch auch Fälle, in denen der Mißbraucher
der Vater war, der aus Liebe heraus die Grenzen zur Tochter überschritten
hat. Die Folgen aus dieser Art des Mißbrauchs unterscheiden sich
von dem sadistischen Typus. In solchen Fällen fordere ich die Klientin
auf, den Vater um ein (symbolisches) Geschenk seiner reinen Liebe zu bitten,
die er ihr aufgrund seiner menschlichen Grenzen nicht geben konnte. Ich
bitte die Klientin, dieses Symbol in ihren Körper eintreten zu lassen
und ihn zu füllen. Dies ist oft ein emotional tiefgreifender Moment,
da die Klientin von ihrem inneren (introjezierten) Vater die Liebe erhält,
um die sie sich ihr Leben lang bemüht hat. Es befreit sie von der
Vorstellung, daß sie mit Sex für die Liebe bezahlen muß,
die sie möchte. Ich bitte dann meine Klientin, dem Vater ein (symbolisches)
Geschenk ihres Verständnisses zu geben, so daß Geben und Nehmen
ausgeglichen sind. Ich erkläre ihr, daß die alten Muster noch
viel Kraft in sich tragen und daß sie deshalb während der nächsten
Tage und Wochen die Verankerung des neuen Symbols fortsetzen muß,
um genügend neue Struktur aufzubauen, die die alte ersetzen kann.
Als nächstes überprüfe ich, was in
ihrem eigenen Energiesystem von dem Trauma übriggeblieben ist. Wenn
nötig, wähle ich ein rituelles, symbolisches Bad, um den Körper
von aller Schuld freizuwaschen. Danach sind Geist und Seele in der Regel
willens, den Körper als gleichberechtigten Partner in den Verhandlungen
zu akzeptieren.
3.2.3 Die Vereinigung von Körper und Seele
Im nächsten Schritt bitte ich die Seele, in
den Körper zurückzukehren. Auch dies geschieht in symbolischer
Weise. Ich bitte die Seele Gestalt anzunehmen und in den Körper einzutreten.
Dann stelle ich sicher, daß die Energie alle Teile des Körpers
füllt. Dies kann beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen, weil
oft der ganze Körper oder Teile davon kein Gespür mehr haben.
Oft benutze ich (imaginierte) Röhren, um die Energie durch blockierte
Gelenke hindurch zu leiten.
Barbara hatte beispielsweise eine Reihe von Unterleibsoperationen,
in denen Zysten entfernt wurden und die Gebärmutter von dem Gedärme
getrennt wurde, mit dem es zusammengewachsen war. Mit 35 Jahren hatte
sie eine Bauchhöhlenschwangerschaft. Der Bauch war eine wunde Stelle,
und es dauerte einige Zeit, bevor sie diesen Teil spüren oder Vibrationen
dort zulassen konnte. Der andere schwierige Bereich waren ihre Füße
und Waden. Erst nach etlichen Monaten konzentrierter Arbeit konnte sie
die Verbindung der Füße mit ihrem Körper spüren.
Im nächsten Schritt bespreche ich, wie mein
Klient für seinen Körper sorgen und ihn neu aufbauen wird. Im
Falle von Eßstörungen bedeutet dies sehr konkrete Vereinbarungen
über den Umgang mit Nahrung. Auf der inneren Ebene benutze ich das
'Innere Lächeln', eine Technik, die von Mantak Chia's Tao Yoga stammt
und die dem Körper Entspannung, Wärme und Stärkung zuführt.
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3.3 Der Gebrauch von Symbolen und Körperimagos als Werkzeuge
des therapeutischen Prozesses
An verschiedenen Stellen im Vortrag habe ich auf
den Gebrauch von Symbolen und Körperimagos verwiesen. Von der Entwicklungsperspektive
her stellen Körperimagos eine wesentliche Brücke im Aufbau der
Körperidentität dar. In schweren Fällen des Eingriffs in
die Körpersphäre verlassen die Menschen ihren Körper, um
zu überleben. Ein Ausdruck dessen ist die Flucht in eine Phantasiewelt
oder die Welt des Geistes. Phantasieprodukte beziehen sich nicht auf die
Wirklichkeit des Körpers, während Körperimagos oder -symbole
das Wesen einer Körperfunktion oder eines Körperausdrucks erfassen.
Ihr Gebrauch hilft dem Klienten, den Körper als Grundlage der Identität
zu erfahren.
Ich gebrauche Symbole und Körperimagos auf
der Ebene des Körpers, des Geistes und der Seele
1. Auf der Körperebene bitte ich die Person,
Körperteile Gestalt annehmen zu lassen, um mit ihnen in Berührung
zu kommen. Für viele Frauen ist es schwierig, Energie in den Beckenbereich
hineinzubringen. Das Becken erscheint ihnen wie eine schwarze Höhle.
In solch einem Fall bitte ich die Frau, eine (symbolische) Fackel zu nehmen
und diese Höhle zu erkunden, so daß wir die Geschichte entdecken
können, die sich in der Dunkelheit verbirgt.
Ich bitte körperliche Schmerzen Gestalt anzunehmen,
so daß wir ihr 'Geschenk' erkunden können und den Schmerz durch
einen reiferen Ausdruck ihres Sinns ersetzen können. Ein häufiges
Beispiel sind Kopfschmerzen. Ihr 'Geschenk' ist oft die Erlaubnis, sich
zurückzuziehen. Ich interpretiere diesen Mechanismus positiv und bestätige
das Recht des Klienten auf den eigenen Raum oder das Recht, den Zeitpunkt
für ein Gespräch oder eine sexuelle Begegnung zu wählen. Auf
der Körperebene zeige ich ihnen Techniken, die ihr 'Nein' stärken,
und ich stelle ihnen einen selbstbewußten, nährenden inneren Führer
zur Seite, der ihre innere (psychische) Struktur in ihrem Recht auf Selbstbehauptung
unterstützt.
2. Der innere Führer oder der runde Tisch
der inneren Führer ist eine sehr wirkungsvolle Stütze auf der
mentalen Ebene, um innere Stärke und ein Gespür für die
eigene Identität aufzubauen, die sowohl Körper- wie Ich-Funktionen
umfaßt. Innere Führer ersetzen das kritische, beurteilende Über-Ich.
Sie sind wie ein inneres Elternteil, das den Klienten in bedingungsloser
Liebe unterstützt und ihn lehrt, sich selber zu lieben. Diese inneren
Führer sind den positiven menschlichen Werten verpflichtet und ersetzen
die verwirrten Programme und Werte, die unsere Kultur an uns weiterleitet.
3. Zu Beginn der Sitzung bitte ich den Klienten
darum, sein 'Höheres Selbst' Gestalt annehmen zu lassen. Das 'Höhere
Selbst' ist eine Brücke zwischen Seele und Verstand, ein Ausdruck
des Wahren Selbst oder des Kern des Menschen. Die Arbeit mit dem 'Höheren
Selbst' ermutigt den Klienten, Verantwortung für den eigenen Heilungsprozeß
zu übernehmen. Unser Kern 'weiß', wie wir am besten in unserem
Heilungsprozeß voranschreiten können. Indem ich das 'Höhere
Selbst' bitte, Gestalt anzunehmen, drücke ich als Therapeutin meine
Bereitwilligkeit aus, mit dem Klienten zusammen seinen eigenen spezifischen
Weg der Heilung zu erkunden und mein Können und Wissen in den Dienst
seines Kerns zu stellen. In Zusammenarbeit mit dem 'Höheren Selbst'
erfahre ich, in welcher Weise ich den Prozeß steuern und die oben erläuterten
Prinzipien anwenden muß, um diesem spezifischen Klienten am besten
zu dienen.
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3.4. Frieden schließen mit der eigenen Geschichte
Der Aufbau solch einer integrierten Identität
kann je nach Schweregrad der Störungen mehrere Jahre in Anspruch
nehmen. Wir brauchen eine gewisse Stärke, bevor wir uns unsere Lebensgeschichte
aus einem Höheren Blickwinkel aus anschauen und die Gefühle,
Schmerzen und Begrenzungen loslassen und integrieren können, mit denen
wir in der Folge konfrontiert waren. Wenn wir tief und lang genug gearbeitet
haben, erreichen wir einen Punkt, den ich den 'Wahlpunkt' nenne.
Barbara hatte solch einen Punkt in ihrem Leben
erreicht, als sie zu mir kam. Ich erklärte ihr, daß sie die
Wahl habe, mit ihren Eltern durch Zorn und Haß verbunden zu bleiben
oder daß sie die Energie, die in diesen Gefühlen gebunden ist,
dazu benutzen könne, ihren eigenen inneren Kern zu stärken, ihre
Grenzen aufzubauen und ihr eigenes Leben zu gestalten. Ich half ihr, klar
zu sehen, welchen Schaden diese Ereignisse in ihrem Leben angerichtet hatten,
aber auch zu sehen, daß ihre inneren Qualitäten von Güte,
Schönheit und Licht und nicht ihre 'Schlechtigkeit' für diese
Ereignisse in ihrem Leben 'verantwortlich' waren. Sie verstand, daß
sie die Wahl hatte, sich weiterhin elend zu fühlen, oder daß
sie die Schwächen und Mängel umwandeln konnte in innere Stärke,
die sie nutzen kann, um andere mit einem ähnlichen Schicksal zu unterstützen.
Sie wählte letzteres.
Wir begaben uns zusammen auf eine Reise in die
'Erinnerungsbank' ihres Körpers, um klar und deutlich die Situation
so zu sehen, wie sie war und die Rolle zu verstehen, die die Beteiligten
aufgrund ihrer eigenen persönlichen Geschichte darin gespielt hatten.
Das Kind interpretiert Ereignisse gemäß der geistige Kräfte
und Erfahrungen jenes betreffenden Lebensabschnitts. Als Erwachsene, besonders
nach einigen Jahren therapeutischer Arbeit, sind wir eher in der Lage,
die menschlichen Begrenzungen zu akzeptieren. In dem Maße, in dem
wir Verständnis und Mitgefühl für unsere eigenen Schwächen
entwickeln, können wir auch akzeptieren, daß unsere Eltern nicht
perfekt waren, besonders, wenn der Mißbrauch aus Liebe und nicht
Sadismus geschah. An diesem Punkt können wir Frieden schließen
mit unserer Lebensgeschichte und die Intensität der Gefühle dazu
benutzen, unser eigenes Leben aufzubauen. Barbara wählte diesen Schritt
in die Freiheit und sah sich in einem inneren Bild als eine runde, volle
Frau. Nach einigen inneren Kämpfen war sie in der Lage, ihren Körper
mit diesem Bild zu füllen.
Am Ende unserer zweiwöchigen intensiven Reise
hatte sie das Gefühl, daß der Mißbrauch geheilt war und
daß sie nun viele Monate brauchen würde, um ihre Struktur auf
allen Ebenen aufzubauen. Sie willigte ein, diese Arbeit zu tun, und hat seitdem
viele Stunden täglich darauf verwandt. Ihr Brief legt Zeugnis ab von
der Arbeit, die noch zu tun ist. Wichtig daran ist, daß all ihre Energie
für die Aufbauarbeit zur Verfügung steht. Als ich sie bei ihrer
Therapeutin anläßlich eines Supervisionsbesuchs sah, fühlte
sie sich lebendig, erkundete eine neue Beziehung und neue Freundschaften.
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4. Kulturelle Aspekte
Lassen Sie mich mit einigen kulturellen Aspekten
schließen. Die Menschen, mit denen ich während der letzten vier
Jahre gearbeitet habe, kommen von vielen verschiedenen Kulturen. Ich kann
oft sehen, wie ihre Lebensgeschichte mit der Familienchronik und kulturellen
Mustern verwoben ist. Indem sie ihr eigenes Lebensprogramm verändern,
unterbrechen sie die Kette von mißbrauchendem und unterdrückendem
Verhalten und können eine neue Kette von gegenseitigem Respekt, Freude
und Erfüllung im Umgang mit Freunden, Lebenspartnern und Kindern
beginnen. Persönlich bin ich der Ansicht, daß wir im Westen
die ökonomischen Bedingungen und die Freiheit haben, Opfersituationen
mit all ihren Folgeerscheinungen in psychologische Stärke zu verwandeln.
Dieses Privileg schließt die Verpflichtung der Seele ein, unsere
Leben so erfüllt zu gestalten, daß wir unsere inneren Reichtümer
mit denen teilen können, die sie brauchen. Ich hoffe, daß mein
Vortrag zu diesem Ziel beiträgt.
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