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Die Falle der eigenen Geschichte

Dr. Ulla Sebastian

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Erinnerungen haben es an sich, ihre eigene Geschichte zu entfalten. Ich erinnere mich an eine Puppe, geschnitzt aus Holz, die ich als Kind heiß geliebt habe. Verwandte aus Kanada schickten eine "richtige" Puppe, eine Kostbarkeit Anfang der fünfziger Jahre. Sie hatte Haare zum Kämmen, konnte Mama sagen, trug ein Ballkleid und besaß ein Alltagskleid zum Wechseln. Doch trotz all dieser Vorzüge konnte sie meiner Holzpuppe keine Konkurrenz machen. Ihr Körper war griffig und kräftig, ihre Glieder baumelten an den Nägeln, die sie mit dem Rumpf verbanden, und das wichtigste: ich liebte sie.

Diese kostbare Puppe verschwand eines Tages und tauchte erst dreißig Jahre später auf in der Erinnerung während meiner Psychoanalyse. Die Psychoanalyse oder Therapien allgemein haben es an sich, den Boden auf der Schattenseite zu durchpflügen nach den Erinnerungen, die verantwortlich gemacht werden können für die unerfüllten Träume und Wünsche, das Scheitern von Plänen und Projekten, die eigenen Unzulänglichkeiten oder Härten des Lebens. Und hier war sie: die Erinnerung, der Inbegriff dafür, wie wenig ich mich von meiner Mutter geliebt, geschätzt oder in meinen Bedürfnissen gewürdigt gefühlt hatte. SIE hatte eines Tages die Puppe verbrannt. Welche Handlung hätte besser ihr Verhältnis zu mir ausdrücken können als diese Unachtsamkeit? Ja, während der Psychoanalyse rang ich mich dazu durch, ihr dieses als Versehen und nicht als beabsichtigte Böswilligkeit auszulegen. Es war ein Schritt in Richtung Vergebung, aber noch keine Versöhnung.

Eines Tages, als ich meine Übersiedelung in die Findhorn Gemeinschaft im Nordosten Schottlands vorbereitete, holte meine Mutter ein großes Paket vom Boden und sagte: "Ich habe Dir Deine Spielsachen aufbewahrt. Ich dachte, es wäre schön für Dich, sie als Erinnerung zu haben." Oh, welch peinlicher Schreck durchfuhr mich, als ich die Kiste durchwühlte. Auf dem Boden lag die Holzpuppe. Sie hatte nichts mehr von dem Glanz der frühen Kindertage, doch hatte sie unversehrt die lange Zeit überstanden. Der Schock erschütterte die Geschichte von der abgelehnten Tochter und ließ das sorgfältig zusammengefügte Gebäude der Erinnerungen, meine Geschichte, wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Er legte den Blick frei für das, was wirklich geschehen war. Doch sollte es noch einige Jahre tiefer und intensiver Arbeit dauern, bis ich sehen konnte, daß die Schrecken meiner Kindheit mit meiner Familie nur wenig zu tun gehabt hatten, daß meine Mutter mich so geliebt und geschätzt hatte, wie ich es mir nur wünschen konnte und daß meine Mutter und ich so menschlich waren wie alle Mütter und Töchter, mit Stärken und Schwächen, persönlichen Herausforderungen, Scheitern und Gelingen.

Diee Geschichte blieb mir eine Warnung, während ich begann, anderen Menschen zuzuhören, die mir in therapeutischen Sitzungen ihren Werdegang berichteten. Ich wußte nun um die Täuschungsmanöver der Erinnerung, die sich einzelne Aspekte wählt und so zusammensetzt, daß sie unsere Grundüberzeugungen unterstützt. Und je häufiger wir unsere 'Story' anderen erzählen, um so stärker sind wir von ihrem Wahrheitsgehalt überzeugt. Ich stellte fest, daß ich andere Menschen um so mehr darin unterstützen konnte, ihre Geschichte aufzugeben, je tiefer ich in die Konstruktion meiner eigenen Erlebniswelt eindrang und sie auflöste.

Dies ist nicht so einfach, wie es sich anhört. Wir sind oft grundlegend an unsere Darstellung der Wirklichkeit gebunden. Sie gibt uns Identität, entschuldigt unsere Schwächen und rechtfertigt die menschliche Faulheit. Schließlich sind es ja die anderen, die uns unser Leiden angetan haben. Warum also soll ich mich anstrengen, um es zu verändern? Die eigene Geschichte aufgeben bedeutet Verantwortung für unser Leben zu übernehmen, für das, was uns zugestoßen ist und das, was wir daraus mache. Dazu ist es oft notwendig, daß wir unsere Perspektiven erweitere von der Ebene der Persönlichkeit hin zur Ebene der Seele, dem höheren Plan, der unsere Geschicke leitet.

Eine schwierige Kindheit oder traumatische Ereignisse hinterlassen Spuren. Sie legen fest, wie weit wir anderen und uns selbst trauen, wie tief wir uns auf andere Menschen in einer Beziehung einlassen können, wie tief in uns Gefühle der Trauer, Wut oder Rache vergraben sind, wie fest wir unser Herz verschlossen halten und wie sehr Angst unsere Handlungen und Wege bestimmt. Oft sind diese Triebfedern, Muster und Einschnürungen zusammen mit den Ereignissen ins Unbewußte abgedrängt. Wir verdecken sie mit unserer Geschichte, in der wir Ereignisse so miteinander verbinden, daß unsere Würde erhalten bleibt. Niemand ist einfacher zu betrügen als wir durch uns selbst.

Um die Ereignisse in neuem Licht zu sehen, müssen wir aus unserer Geschichte aussteigen. Ein erster Schritt liegt darin hinzuschauen, wie wir die Situationen herstellen, die uns immer wieder geschehen. Dies erfordert etwas Übung, besonders wenn wir unser Leben unter dem Leitsatz angetreten haben, daß die anderen für unser Leiden verantwortlich sind. Ein zweiter Schritt liegt darin hinzuschauen, wie wir die Situationen herstellen, die uns immer wieder zustoßen. Viele Menschen haben die Tendenz, die Antwort auf diese Frage durch allgemeine Aussagen zu umgehen. Der Teufel steckt im Detail, denn im Detail stecken die Gefühle und damit die oft schmerzhaften und unangenehmen Erinnerungen, die wir durch allgemeine Aussagen umgehen möchten.

Ein dritter Schritt liegt darin, in die Situationen zurückzukehren, die an der Wurzel des Übels liegen. In meinen Sitzungen lade ich dazu das Höhere Selbst der Person ein, mit der ich arbeite. Das 'Höhere Selbst' ist eine Brücke zwischen Seele und Verstand, ein Ausdruck des Wahren Selbst oder des Kern des Menschen. Es steht der Wahrheit näher als unser Ego, für das es wichtiger ist, unser Gesicht zu wahren als die Wahrheit zu wissen. Das Höhere Selbst bitte ich, mich in die Situation zurückzuführen, die wir uns anschauen müssen, um zu verstehen, was hinter den Symptomen, Krankheiten oder problematischen Lebensstrategien liegt. Solch eine Situation kann eine symbolische Darstellung einer wiederholten und dem Bewußtsein vertrauten Ereignisses der Kindheit sein, was in neuem Licht erscheint oder ein einschneidendes Ereignis, das ganz dem Bewußtsein entrückt oder als nebensächlich abgelagert ist.

Ein Beispiel für den ersten Fall ist die Geschichte eines jungen Mannes, der sich von der Mutter in seiner Spontaneität und seinem lebendigen Ausdruck eingefangen fühlte bis hin zu Gefühlen der Lähmung und des Erdrücktwerdens. In einem inneren Bild stellte sich diese Situation dar als ein großer runder Stein, der auf einen Tiger gerollt worden war und den Körper des Tigers unter sich begrub. Bei näherem Hinschauen verwandelte sich der Stein in einen Mutterboden, der einen neuen Keim in sich trug, den Keim eines großen Baumes, der nun bereit war zu wachsen. All das Bedrückende und Einengende , für die der steinerne Kugel stand, war zugleich der Grundstein für das, was als Potential im jungen Mann angelegt war.

Diese Seite können wir nicht sehen, solange wir unsere Geschichte von der Position des Opfers her schreiben. Erst wenn wir sie in einen größeren Zusammenhang stellen, die Perspektive wechseln, können wir das 'Geschenk' würdigen, das in ihr verborgen liegt. In der Anerkennung und Würdigung der positiven Absicht liegt die Befreiung von den Verstrickungen der Vergangenheit.

Im zweiten Fall, dann wenn das Ereignis dem Bewußtsein entrückt ist, ist der Weg zur Quelle oft länger und ohne Begleiter oder eigenes Training schwer zu gehen. Unser inneres Wissen öffnet uns die Tür zum Unbewußten nur dann, wenn wir 100% bereit sind hinzuschauen, und ein Teil der Arbeit liegt darin, den Widerstand dagegen ins Bewußtsein zu heben. Widerstand ist ein anderes Wort für Angst, die viele Gesichter tragen kann: Angst vor dem Unbekannten, vor Verantwortung oder davor, verantwortlich gemacht zu werden, Angst davor, das eigene Leben ändern zu müssen, sich von Bindungen lösen zu müssen oder davor, die eigene Identität zu verlieren und nicht zu wissen, wer wir sind ohne die vertraute Geschichte. All diese Ängste haben ihren Berechtigung, haben Wahrheitsgehalt und müssen als solche anerkannt und gewürdigt werden. Doch sind die Ängste in der Phantasie oft furchterregender als die Wahrheit, so schrecklich sie in manchen Einzelfällen auch sein mag. Weit häufiger jedoch stellen sich die Monster beim näheren Hinschauen als entlastendes und oft befreiendes Ereignis dar.

Dies erlebe ich häufiger bei Frauen, die mit dem Verdacht eines Mißbrauchs zu mir kommen und nicht sicher sind, ob und durch wen ihnen dies geschehen ist oder ob sie dem Zeitgeist anheimgefallen sind. Das Spektrum, was unter diesem Verdacht zum Vorschein kommt, ist breit. Es kann von tatsächlichen Ereignissen über Zeugenschaft bis hin zu Geschehnissen reichen, die genau umgekehrt verlaufen sind als erahnt oder befürchtet. Ein Beispiel wäre, daß die Frau den erinnerten Rückzug des Vaters als Beweis für Mißbrauch nimmt, während der Vater die Tochter und sich durch den Rückzug davor bewahrt hat, der sexuellen oder erotischen Anziehung zwischen beiden zum Opfer zu fallen.

Im Falle eines tatsächlichen Geschehens bitte ich das Höhere Selbst des Klienten, uns in die betreffende Situation zurückzuführen. Der Klient und ich betrachten 'von außen' den Handlungsablauf, der sich auf der inneren Bühne entfaltet. Dann bitte ich den Klienten, in den Körper der Beteiligten hineinzugehen und mir die Spannungsmuster, Gefühle und Gedanken zu beschreiben, die er wahrnimmt. Bei traumatischen Ereignissen übernehmen wir oft von den Beteiligten deren Muster als unsere eigenen und setzen damit eine Entwicklung fort, sie sich oft über Generationen zurückverfolgen läßt. Das Hineingehen in die Positionen der anderen gibt uns wichtige Informationen über die persönliche Lage und die Dynamik aller Beteiligten und erlaubt dem Klienten, seinen Anteil und seine Verantwortung an dem Hergang zu sehen. Dieser Anteil sieht aus dem erwachsenen Erfahrungsschatz und Bewußtsein oft ganz anders aus als die Perspektive des Kindes, die oft von Schuld und Verwirrung geprägt ist. Das Kind interpretiert Ereignisse gemäß der geistige Kräfte und Erfahrungen jenes betreffenden Lebensabschnitts. Als Erwachsene sind wir eher in der Lage, die menschlichen Begrenzungen zu akzeptieren. In dem Maße, in dem wir Verständnis und Mitgefühl für unsere eigenen Schwächen entwickeln, können wir auch akzeptieren, daß unsere Eltern nicht perfekt waren. An diesem Punkt können wir uns erlauben, hinzuschauen, unsere 'Geschichte' zu verabschieden und die Schritte unternehmen, die notwendig sind, um anstehende Veränderungen herbeizuführen, Neues zu wagen und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.

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4. Kulturelle Aspekte

Lassen Sie mich mit einigen kulturellen Aspekten schließen. Die Menschen, mit denen ich während der letzten vier Jahre gearbeitet habe, kommen von vielen verschiedenen Kulturen. Ich kann oft sehen, wie ihre Lebensgeschichte mit der Familienchronik und kulturellen Mustern verwoben ist. Indem sie ihr eigenes Lebensprogramm verändern, unterbrechen sie die Kette von mißbrauchendem und unterdrückendem Verhalten und können eine neue Kette von gegenseitigem Respekt, Freude und Erfüllung im Umgang mit Freunden, Lebenspartnern und Kindern beginnen. Persönlich bin ich der Ansicht, daß wir im Westen die ökonomischen Bedingungen und die Freiheit haben, Opfersituationen mit all ihren Folgeerscheinungen in psychologische Stärke zu verwandeln. Dieses Privileg schließt die Verpflichtung der Seele ein, unsere Leben so erfüllt zu gestalten, daß wir unsere inneren Reichtümer mit denen teilen können, die sie brauchen. Ich hoffe, daß mein Vortrag zu diesem Ziel beiträgt.

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